gwf Gas + Energie, Ausgabe 01-02/2024: "Zukunftssicheres Kommunikationsnetz für die Gaswirtschaft"

31. Januar 2024

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Sprach- und Datenkommunikation mit 450 MHz–Funknetz für neue und alte Herausforderungen
 

Im Zuge der zunehmenden Dezentralisierung und Digitalisierung der Energieversorgung und den damit verbundenen neuen Herausforderungen einer ausfallsicheren Kommunikation sowie einer gesicherten Steuerung von Erzeugungsanlagen, Netzanlagen und Messeinrichtungen benötigen Betreiber kritischer Infrastrukturen, als erste Bedarfsträger Unternehmen der Energie- und Wasserwirtschaft, ein sicheres, zuverlässiges und jederzeit verfügbares Kommunikationsnetz. Am Beispiel eines Unternehmens aus der Gaswirtschaft wird aufgezeigt, wie Betreiber kritischer Infrastrukturen auch zur Stärkung der unternehmenseigenen Resilienz vom 450-MHz-Funknetz profitieren können.

450-MHz-Funknetz für Betreiber kritischer Infrastrukturen

Gebaut und betrieben wird das 450-MHz-Funknetz vom Kölner Funkdienstleister 450connect. Physikalisch bedingt hat die Frequenz sehr gute Ausbreitungseigenschaften und ermöglicht Betreibern kritischer Infrastrukturen eine verlässliche Versorgung sowohl im ländlichen Raum als auch in Gebäuden. In beiden Fällen ist häufig keine ausreichende Mobilfunkversorgung gegeben. Hinzu kommt die Schwarzfallfestigkeit des Netzes. Das heißt: Es gibt über das 450-MHz-Funknetz eine Notstromversorgung für 72 Stunden im Falle von Stromausfällen und die Möglichkeit, Anwendungen nach deren Kritikalität zu priorisieren.

Das 450-MHz Funknetz ermöglicht darüber hinaus eine duale Nutzung der Kapazitäten: Im Regelbetrieb stehen die Überwachung und Steuerung von dezentralen Anlagen der kritischen Infrastrukturen auf Basis von Sprach- und Datenkommunikation im Vordergrund. Im Krisenfall liegt der Fokus auf der Krisenkommunikation und der Steuerung der im jeweiligen Krisenszenario kritischen Anlagen. Das 450-MHz-Funknetz ist daher resilient in außergewöhnlichen Versorgungssituationen, bei Stromausfällen und Naturkatastrophen. 

Hochleistungsfähige technische Infrastruktur

Mit dem Aufbau des bundesweiten Funknetzes startete 450connect nach der formalen Zuteilung der begehrten Frequenzteilbereiche im 450 MHz-Band – dem ehemaligen C-Netz – durch die Bundesnetzagentur im Sommer 2021. Die Architektur des Funknetzes basiert auf einer georedundanten Zentraltechnik, einem schwarzfallfesten Backbone, einer mindestens redundanten Richtfunkanbindung der einzelnen Funkstandorte und einer 72h-Notstromversorgung.

Die einzelnen Funkstandorte verfügen über bis zu drei Sektorenantennen sowie bis zu vier Richtfunkantennen. Über die Sektorenantennen wird die flächendeckende Funkversorgung sichergestellt und über die redundanten Richtfunkanbindungen die Kommunikation zwischen den Funkstandorten und dem Backbone, um so eine hohe Ausfallsicherheit des 450-MHz-Funknetz zu gewährleisten.

Einsatzmöglichkeiten für Daten- und Sprachkommunikation

Die guten Ausbreitungseigenschaften ermöglichen eine flächendeckende Funkversorgung mit vergleichsweisen wenigen Antennenstandorten und damit begrenzten Kosten für den Ausbau. Um das gesamte Bundesgebiet zu erschließen, sind rund 1.600 Funkmasten erforderlich. 450connect nutzt hierbei weitestgehend bestehende Mastinfrastrukturen entweder von Drittanbietern oder von Versorgern. Im März 2023 hat der Testbetrieb mit Kunden aus dem Gesellschafterkreis der 450connect im LTE450-Funknetz begonnen. Im Fokus der Tests stehen Funkdienste für die Anwendungsfälle Smart Grid, Smart-Meter-Gateway sowie betriebsinterne, mobile Sprach- und Datenkommunikation. Bis zum Jahr 2025 ist der Netzausbau abgeschlossen.

Das Marktinteresse an der 450connect-Kommunikationslösung bei Betreibern kritischer Infrastrukturen ist erwartungsgemäß groß. Entsprechend umfasst der Kundenkreis von 450connect inzwischen einige bedeutende Konsortien bzw. Unternehmensgruppen von Energie- und Wasserversorgungsunternehmen deutschlandweit. Dazu zählen unter anderem die Unternehmen E.ON und Thüga AG, der ARGE DV e.V. und die Versorger-Allianz 450 Beteiligungs GmbH & Co. KG, die jeweils einer Vielzahl von Energie- und Wasserversorgungsunternehmen über deren Rahmenverträge den Zugang zu 450-MHz-Funkdiensten ermöglichen.

Funkdienste für die Gaswirtschaft am Beispiel der Thyssengas GmbH

Weil das 450-MHz-Funknetz maßgeblich dazu beiträgt, dass Unternehmen im Bereich kritische Infrastrukturen sowohl im Regelbetrieb als auch in kritischen Situationen zuverlässig funktionieren und somit ihre Resilienz stärken können, ist die 450-MHz-Kommunikationslösung auch für Unternehmen der Gaswirtschaft interessant, wie das Beispiel Thyssengas zeigt. 

Überwachung und Steuerung der Infrastruktur & Mess- und Regeltechnik 

Insbesondere die Überwachung und Steuerung von Gastransportnetzen, Gasdruckregel- und Messanlagen, Übergabe und Biogasanlagen sowie die Sprachkommunikation im Betriebs-, Krisen- und Ereignisfall sind für Gaswirtschaftsunternehmen relevant. Thyssengas und 450connect arbeiten daher seit 2023 im Rahmen von Test-Cases zusammen. Thyssengas trägt mit über 4.400 km Fernleitung und mehr als 1.000 Ausspeisepunkten entscheidend zur Versorgungssicherheit eines bedeutenden Gebiets Deutschlands bei. Dabei erstreckt sich das Gebiet des Gasfernleitungsnetzbetreibers von Emden im Norden bis Bonn im Süden, von Zevenaar (NL) bzw. Bocholtz-Vetschau im Westen bis Winterberg im Osten. 

Schwarzfallfestigkeit und ausfallsichere Datenkommunikation im Fokus

Das Unternehmen betreibt zahlreiche Anlagen in Regionen, in denen als Kommunikationsinfrastruktur nur das öffentliche Mobilfunknetz zur Verfügung steht. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit der für die im Wintern2022 erwartete Gasmangellage sind die Anforderungen an M2M- und Sprachkommunikation in Krisensituationen stark gestiegen. Dazu zählen unter anderem die schwarzfallfeste Überwachung und Steuerung von Anlagen und eine auch im Krisen- und Ereignisfall verfügbare Sprachkommunikation.

Um die Funkdienste von 450connect flächendeckend im Versorgungsgebiet in Anspruch nehmen zu können, hat Thyssengas entschieden, die turnusmäßig zu tauschenden Router durch solche mit einem 450-MHz-Modem zu ersetzen. So lassen sich 450-MHz-Funkdienste ab dem Zeitpunkt der jeweils verfügbaren Funkversorgung nutzen, ohne die Hardware erneut ersetzen zu müssen.

Im Rahmen der von Thyssengas durchgeführten Bedarfsanalyse wurden eine Reihe von Anlagen und Anwendungen identifiziert, die an die krisensichere 450-MHz-Kommunikation angebunden werden sollen. Dazu zählen im Bereich der M2M-Kommunikation rund 500 Anlagen: Gasdruckregelmessanlagen, Netzanschluss- bzw. Netzkoppelpunkte, Verdichter- und Biogasstationen. Diese kritischen Netzpunkte sollen auch im Falle des Ausfalls der Mobilfunknetze weiterhin steuer- und überwachbar bleiben.

Hinzu kommt: Im Bereich der Sprachtelefonie bietet die krisensichere Sprachkommunikation für Thyssengas im Endausbau potenziell die Möglichkeit, die bisher im Unternehmen eingesetzte Satellitentelefonie abzulösen. Zum Hintergrund: Diese müssen in regelmäßigen Testeinsätzen überprüft und im Krisenfall unter besonderen Bedingungen aufwendig in Betrieb genommen werden.

Mit der Integration von Sprach- und Datendiensten im krisensicheren Netz ließen sich aus Sicht des Gasfernleitungsnetzbetriebs Synergieeffekte realisieren und eine unternehmensübergreifende Kommunikation sicherstellen. Dabei bietet insbesondere die Kommunikation von Fernleitungsnetzbetreibern untereinander einen entscheidenden Vorteil, sodass auch im Krisenfall Marktgebiete und Übertragungsnetze deutschlandweit von allen beteiligten Marktakteuren sicher betrieben werden können.

Praxistests im ersten Halbjahr 2024

Für das erste Halbjahr 2024 sind eine Reihe von Praxistests in ausgewählten Anlagen des Dortmunder Unternehmens geplant. Diese Anlagen befinden sich im gesamten Netzgebiet und weisen derzeit keine schwarzfallsichere Datenkommunikation auf. Sie sollen die frequenzbedingte Flächenausleuchtung und Gebäudedurchdringung an den oben benannten Anlagen unter Schwarzfallbedingungen bestätigen ebenso wie die sichere Übermittlung von zentrale Anlagenzustandsdaten bei Stromausfall, wenn die öffentliche Mobilfunkkommunikation nicht mehr zur Verfügung steht.

Zu diesen Anlagenzustandsdaten im Fokus der Feldtests zählen unter anderem Gaseingangs-, Gasausgangsdrücke, Gasliefermengen sowie generelle Anlagenzustandsinformationen. Im Vordergrund der Tests steht, inwiefern bei Eintritt des Schwarzfalles die Umschaltung von Mobilfunk auf 450 MHz problemlos funktioniert und die Zustandsdaten lückenlos übermittelt werden. Nach erfolgreichem Abschluss der Tests werden die mehr als 500 Anlagen zeitnah redundant mit einer 450-MHz-SIM-Karte ausgestattet. Geplant ist, die Testergebnisse Interessierten der Gaswirtschaft zugänglich zu machen.

Über Thyssengas 

Die Thyssengas GmbH ist ein deutscher Fernleitungsnetzbetreiber. Hauptsitz des Unternehmens, das im Jahr 2021 sein 100-jähriges Bestehen gefeiert hat, ist Dortmund. Thyssengas betreibt ein rund 4.400 km langes Gasnetz – zum Großteil in Nordrhein-Westfalen, einzelne Leitungen aber auch in Niedersachsen. Darüber werden sowohl nachgelagerte Verteilnetzbetreiber als auch Industriebetriebe und Kraftwerke versorgt. Für die klimaneutrale Zukunft setzt Thyssengas auf den gasförmigen Energieträger Wasserstoff. Der Dortmunder Netzbetreiber engagiert sich dazu in zahlreichen Initiativen. Gleichzeitig investiert er gezielt in die Umstellung seines Leitungssystems, um einen schnellen Wasserstoff-Hochlauf als Teil der Energiewende möglich zu machen. An sieben Standorten im Netzgebiet beschäftigt das Unternehmen aktuell rund 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Tendenz steigend. www.thyssengas.co

Über 450connect

450connect baut und betreibt die ausfallsichere Plattform zur Digitalisierung der kritischen Infrastrukturen in Deutschland. Das Kölner Unternehmen schafft damit eine entscheidende Voraussetzung für die Dekarbonisierung und Resilienz unserer Volkswirtschaft. Basis sind die bis Ende 2040 an 450connect zugeteilten 450-MHz-Funkfrequenzen. Hinter 450connect stehen mehr als 70 Energieversorgungsunternehmen, unter anderem Alliander, E.ON, ein Konsortium regionaler Energieversorger sowie die Versorger-Allianz 450, zu der zahlreiche Stadtwerke, Energie- und Wasserversorger und die EnBW-Tochter Netze BW gehören. www.450connect.de

Autoren:
Julian Kuhls
Thyssengas GmbH
Dortmund

Salvatore De Masi
450connect GmbH
Köln

Quelle: gwf Gas + Energie, Fokus E-world Sonderteil, Ausgabe 01-02/2024, ET: 30. Januar 2024