Torsten Maus: „Im Norden ist der Druck zu digitalisieren sehr groß“
Oldenburg (energate) – Über das 450MHz-Funknetz wollen zahlreiche Verteilnetzbetreiber die für die Energiewende notwendige Digitalisierung ihrer Infrastruktur stemmen. Was das für einen großen Player wie die EWE Netz bedeutet und welche Erwartungen damit verbunden sind, erläutert Torsten Maus, Vorsitzender der EWE-Netz-Geschäftsführung, im Interview.
energate: Herr Maus, die Energiewirtschaft hat sich sehr dafür eingesetzt, den Zuschlag für die Funkfrequenz 450MHz zu bekommen. Warum?
Maus: Deutschland stellt auf ein sehr kleinteiliges, dezentrales Energiesystem um. Hier sind wir als EWE Netz mit unserem sehr hohen Anteil an Wind- und PV-Anlagen in einer herausragenden Position und setzen das erfolgreich seit rund zwei Jahrzehnten um. Wegen dieser Kleinteiligkeit muss ein Ausgleich zwischen Erzeugung, Verbrauch und Speicherung geschaffen werden, wobei das Ganze zunehmend auf Verteilnetzebene stattfindet. Das bedeutet, wir stellen das System vom Kopf auf die Füße. Um es weiterhin sicher beherrschen zu können, brauchen wir kontinuierlich Informationen über den Zustand aller Komponenten im Netz und das möglichst live. Hier kommt das 450MHz-Netz ins Spiel. Über dieses können wir Daten sicher und schnell übertragen, sie zentral in ein Modell einfließen lassen und so die nötigen Maßnahmen ergreifen. Übrigens nicht nur Daten, sondern auch Sprache. Denn unsere Techniker können über das 450-MHz-Netz auch telefonieren.
energate: Welche Vorteile bietet die Technik gegenüber dem Mobilfunk?
Maus: Ein großer Vorteil ist, dass nur verhältnismäßig wenige Masten gebraucht werden, um das gesamte Netzgebiet abzudecken und in die Gebäude zu kommen. In unserem Netzgebiet brauchen wir gerade einmal 100 Masten, von denen bis Ende dieses Jahres gut die Hälfte stehen werden. Der Rest folgt überwiegend bis Ende 2022. Ein einzelner Mast hat einen Funkradius von mehreren Kilometern. Eine Großstadt wie Oldenburg, auf einer Fläche von 100 Quadratkilometern, lässt sich dadurch mit zwei bis drei Masten abdecken – viel weniger als bei Mobilfunk.
Das 450MHz-Netz ist außerdem zuverlässiger als das Mobilfunknetz. Bei Mobilfunk liegt die Zuverlässigkeit immer unter 100 Prozent. Selbst wenn der Wert bei 99 Prozent läge, wären das umgerechnet auf die 8.760 Stunden eines Jahres immer noch fast vier Tage! Das ist ein Wert, mit dem wir mit Blick auf die Versorgungssicherheit im Störungsfall nicht leben können. Zudem steht das Mobilfunknetz im Flächenland Niedersachsen nicht überall zur Verfügung. Das 450MHz-Netz bietet uns hier eine verlässliche Alternative. Mit ihm kommen wir bis in die Keller hinein, auch das ist ein Vorteil. Es handelt sich also um ein Netz, das zwar keine besonders großen Datenmengen transportieren kann, dafür aber extrem zuverlässig ist.
energate: Ein Vorteil des 450MHz-Netzes soll auch die sogenannte Schwarzfallfähigkeit sein. Was steckt dahinter?
Maus: Das ist richtig. Bei einem flächendeckenden Stromausfall, also einem Schwarzfall, sind wir mithilfe des 450-MHz-Netzes in der Lage, die Versorgung schnell wieder hochzufahren. Dazu müssen die Anlagen, die sich in einer entsprechenden Zelle befinden, kommunizieren können. Im 450MHz-Netz sind dafür verhältnismäßig wenige Funkelemente nötig, gepuffert mit jeweils eigenen Akkus. Diese sichern die Kommunikation über 72 Stunden. Mobilfunk steht bei einem Stromausfall hingegen nach kurzer Zeit nicht mehr zur Verfügung.
energate: Sie bauen aktuell eine komplett neue Infrastruktur auf. Wie verhält es sich mit den Kosten dafür?
Maus: Die Kosten für den Aufbau des 450MHz-Netzes rechnen wir gegen die Investitionen, die wir alternativ tätigen müssten. Ich hatte eingangs beschrieben, dass wir in Deutschland viele Millionen dezentrale Anlagenkomponenten beherrschen müssen, seien es Erzeugungsanlagen, Speicher, E-Autos oder reine Verbraucher. Das heißt, wir brauchen Smart Grids, um dieses System ausregeln zu können. Denn das Stromnetz kann betriebs- und volkswirtschaftlich nie so groß gebaut werden, dass es rein physikalisch für jeden Betriebszustand ausgelegt ist.
Im Ergebnis kann man sagen: Der Aufwand für den Aufbau des 450MHz-Netzes ist überschaubar, der Nutzen dafür umso größer. Wir haben mittlerweile über 60.000 Anlagen am Netz, die wir managen müssen. Das sind über 6.000 MW, was etwa sechs Großkraftwerken entspricht. Wir haben einen EEG-Anteil von annähernd 100 Prozent. Das heißt, im Norden ist der Druck zu digitalisieren sehr groß. Ende 2022 werden wir flächendeckend über 450MHz kommunizieren können. In unserem Netzgebiet haben wir zudem den Vorteil, bestehende Masten nutzen zu können, die wir zuvor für einen älteren Funkstandard aufgebaut hatten.
energate: Der Netzausbau ist das eine. Was benötigen die steuerbaren Anlagen, um im 450MHz-Netz zu funktionieren?
Maus: Anlagen einer bestimmten Größe müssen heute ohnehin kommunikationsfähig und steuerbar sein. Benötigt wird lediglich ein Steuermodul, das 450MHz beherrscht und die Steuersignale umsetzen kann. Sowohl anlagenseitig, zum Beispiel in der Übermittlung von Spannungswerten einer Windkraftanlage, als auch in umgekehrter Richtung zur Erzeugungsreduktion. Allein im Jahr 2020 haben wir 6.000 mal in die Erzeugung eingreifen müssen, um das Netz zu stabilisieren. Das funktioniert nur noch mit halb- oder voll automatisierten Systemen.
energate: Rund 80 Prozent der Verteilnetzbetreiber in Deutschland haben sich an der Betreibergesellschaft des 450-MHz-Netzes, der 450Connect, beteiligt. Kann das 450MHz-Netz somit als das Funknetz der Energiewende bezeichnet werden?
Maus: Ich bin mir sicher, dass es das entscheidende Netz für die kritische Infrastruktur in Deutschland werden wird. Gewollt ist, dass auch andere kritische Infrastrukturen diese Frequenz nutzen, zum Beispiel die Wasserversorgung. Darüber entscheidet jedoch 450Connect, nicht der einzelne Nutzer.
energate: Das heißt, EWE Netz tritt auch hier als Netzbetreiber auf, während die 450Connect der Dienstleister ist?
Maus: Die Modelle sind sicherlich unterschiedlich. In unserem Netzgebiet stellen wir mit den Masten und deren Anbindung einen Teil der Infrastruktur, während die 450Connect später eine zentrale Kommunikationseinheit bereitstellen wird. Das kann in anderen Gebieten anders sein, sodass etwa Infrastruktur von mehreren Unternehmen gemietet wird oder aber die 450Connect hier selbst aktiv wird.
energate: Die Lizenz zur Nutzung der Frequenz läuft über 20 Jahre. Was würde passieren, wenn die Branche sie dann verlieren würde?
Maus: Ich bin jetzt erst mal froh, dass wir die Frequenz in der Form haben. Wir hatten bislang nichts Vergleichbares. Und was die Zukunft angeht, da bin ich mir sicher, dass Versorgungssicherheit auch in 20 Jahren noch wichtig sein wird. Genau dafür wird die Frequenz ein zentraler Baustein sein.
(Quelle: energate.de https://bit.ly/3pZnGrv)